
Während Bahnsteige und Gleise modernisiert werden, entstand und entsteht im Hintergrund eine Hochleistungsinfrastruktur, die völlig neue Fahrzeiten ermöglicht. So lässt sich Wien von Ried und Braunau – mit nur einem Umstieg – in rund 2,5 bzw. 3 Stunden erreichen, bei Zuggeschwindigkeiten von bis zu 230 km/h. Doch wie ist das überhaupt möglich?
Neben dem Ausbau der Strecke spielt vor allem die technologische Entwicklung der ÖBB eine zentrale Rolle. Moderne, rechnerbasierte Stellwerkstechnik ersetzte ältere mechanische, elektromechanische und Relaisstellwerke. Das schaffte die Grundlage für schnellere, dichtere und sicherere Zugfahrten. Gleichzeitig erfordert die Zugsicherung bei Geschwindigkeiten von 200 km/h und darüber hinaus hochpräzise, digitale Systeme, die jede Bewegung des Zuges überwachen und steuern.
Dieser Artikel in zwei Teilen beleuchtet, welche technischen Voraussetzungen notwendig sind, wie sich die Stellwerkstechnik entwickelt hat und welche Zugsicherungssysteme den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Österreich möglich machen.
Die neue Stellwerkstechnik
1. Ausgangssituation
Ende der 1980er-Jahre standen die ÖBB vor großen technischen und organisatorischen Herausforderungen:
- Die vorhandenen Stellwerkstechniken (mechanisch, elektromechanisch, Relaistechnik) waren wartungsintensiv und technisch ausgereizt.
- Der steigende Bahnverkehr – besonders auf Hauptstrecken – verlangte nach leistungsfähigeren Sicherungssystemen.
- Die Liberalisierung des Bahnverkehrs kündigte sich an: mehrere Betreiber, flexiblere Fahrpläne, mehr Zugbewegungen.
- Dafür benötigten die ÖBB ein sicheres, modernes und vor allem zentral steuerbares Stellwerkssystem.

Aus diesen Gründen begann eine intensive Zusammenarbeit zwischen ÖBB und SEL/Alcatel, die zur Entwicklung des elektronischen Stellwerks ELEKTRA führte.
2. Entwicklung des Stellwerks ELEKTRA (ab 1987)
Ab 1987 begann die Entwicklung eines vollständig rechnerbasierten Stellwerks mit hoher Verfügbarkeit.
- ELEKTRA vereinte Fahrstraßenprüfung, Signal- und Weichensteuerung sowie eine moderne grafische Bedienoberfläche.
- Das System wurde von Beginn an so ausgelegt, dass es nicht nur lokal, sondern auch in übergeordnete Betriebsführungszentralen integriert werden kann – eine wichtige Grundlage für die spätere Zentralisierung der Betriebsführung.
ELEKTRA wurde von SEL/Alcatel zur Serienreife gebracht und galt laut parlamentarischen Unterlagen als „Produkt österreichischer Ingenieurarbeit“ und als technologisch führend in Europa.
3. Prototyp Neumarkt-Kallham und Testphase
Der Bahnhof Neumarkt-Kallham wurde für das erste österreichische Prototyp-Stellwerk nach dem ELEKTRA-Prinzip ausgewählt.

- Inbetriebnahme: Dezember 1989
- Einsatz als umfassendes Testfeld für Hardware, Software, Bedienoberfläche und sicherheitsrelevante Komponenten.
- Mehrmonatige Test- und Optimierungsphase unter realen Betriebsbedingungen:
- Prüfung der Fahrstraßenlogik
- Tests der Redundanz
- Langzeittests und Stabilitätsanalysen
- Evaluierung der grafischen Bedienoberfläche
Die positiven Ergebnisse boten die Grundlage für die spätere Serienausstattung.
Aufbau des Arbeitsplatzes:
Der Arbeitsplatz des Fahrdienstleiters besteht im wesentlichen aus einem Farbmonitor, der einerseits der Darstellung des aktuellen Betriebszustandes des Stellwerkes dient und über den anderseits die Bedienung der Anlage mittels eines Lichtstiftes oder Maus erfolgt.

Auf dem Monitor werden die Elemente der Außenanlage – etwa Weichen, Signale, Gleisabschnitte oder Eisenbahnkreuzungen – in ihrer realen geografischen Lage durch semigrafische Symbole dargestellt (Gleisbilddarstellung). Form und Farbe dieser Symbole zeigen den jeweiligen Betriebszustand an. Die Symbole wurden so gestaltet, dass sie sowohl den speziellen Anforderungen der Meldebilder von Sicherungsanlagen entsprechen als auch eine intuitive, leicht verständliche Darstellung ermöglichen – etwa ein roter Balken für ein Halt zeigendes Signal oder ein grüner Pfeil für ein frei zeigendes Signal.
Soll der Fahrdienstleiter eine Bedienhandlung ausführen, dient das dargestellte Meldebild als Grundlage für die geografisch zugeordnete Eingabe mit Lichtstift bzw. Maus. Dabei werden die relevanten Symbole in einer bestimmten Reihenfolge ausgewählt. Die Bedienprozeduren entsprechen dabei weitgehend jenen, die von herkömmlichen Gleisbildstellwerken bekannt sind.
Ein Beispiel für die Einfachheit der Eingabe ist die Einstellung einer Zugstraße:
- Aufsetzen des Lichtstifts/Mauszeigers auf das Symbol des Startsignals
- Aufsetzen auf das Symbol des Zielsignals
- Auswahl der gewünschten Fahrstraßenart (Zug- oder Verschubstraße) aus der nun eingeblendeten Menüleiste – in diesem Fall „Z“
Nach dieser Eingabe führt das Stellwerk die erforderlichen Schritte weitgehend automatisch aus. Bei der Einstellung einer Zugstraße erfolgen unter anderem folgende Vorgänge selbsttätig:
- Prüfung der Zulässigkeit der Fahrstraßeneinstellung
- Automatisches Umstellen der erforderlichen Weichen
- Abgrenzung des Fahrwegs gegen gefährdende Flankenfahrten
- Prüfung der Freimeldung aller Gleisabschnitte im Fahrweg
- Freistellen der erforderlichen Signale
- Überwachung aller Bedingungen, die für die Aufrechterhaltung der Signalfreihaltung notwendig sind
4. Parallelversuch: Prototyp Gänserndorf (Siemens SMC 86)
Parallel zu ELEKTRA wurde in Gänserndorf ein weiteres elektronisches Stellwerk – das Siemens SMC 86 – getestet.
- Die ÖBB führten dadurch einen systematischen Technologievergleich durch.
- Ziel war die Auswahl jener Architektur, die langfristig die höchsten Anforderungen an Betrieb und Sicherheit erfüllt.
- Siemens blieb auch später ein relevanter Anbieter im österreichischen Stellwerksmarkt.
5. Industriepartner: Alcatel/Thales und Siemens
5.1 Alcatel → Thales
- SEL/Alcatel entwickelte das ELEKTRA-System und begleitete die ÖBB über Jahrzehnte bei Weiterentwicklung und Ausbau.
- Durch Konzernübernahmen ging der Bereich später an Thales, das die Technologie fortführte und modernisierte.
- Thales arbeitet bis heute eng mit den ÖBB zusammen, u. a. bei digitalen Stellwerken und cloudbasierten Lösungen.
5.2 Siemens
- Siemens entwickelte das parallele SMC-86-System, das in Gänserndorf getestet wurde.
- Siemens-Systeme kommen bis heute in Österreich ergänzend zu ELEKTRA zum Einsatz
6. Serienausbau der ESTW in den 1990er Jahren
Aus den Erkenntnissen der Pilotphase entstanden ab den frühen 1990er-Jahren die ersten serienreifen ELEKTRA-Stellwerke:
- Verfeinerte Software und Redundanzkonzepte
- Einheitliche Bedienoberfläche (EBO)
- Einbindung von Außenanlagen (Weichen, Signale, Achszähler)
- Schrittweise Ausrüstung wichtiger Bahnhöfe und Hauptstrecken
7. Die Betriebsführungszentrale (BFZ) Linz

7.1 Bedeutung der BFZ Linz
Die BFZ Linz ist eine von fünf zentralen Steuerungsstellen der ÖBB. Sie übernimmt die Koordination des Bahnverkehrs in großen Teilen:
- Oberösterreich
- Nördliche Steiermark
- Östliches Niederösterreich
Rund um die Uhr stehen dort zahlreiche Fahrdienstleiter-Arbeitsplätze zur Verfügung (laut Planung etwa 31).
7.2 Architektur und technische Ausstattung
- Planung durch Koll Architekten
- Rund 500 m² Fläche für den operativen Bereich
- Moderne, 10 Monitore je Arbeitsplatz
- Ausgelegt auf die Verarbeitung großer Datenmengen aus elektronischen Stellwerken
8. Einbindung von ELEKTRA in die BFZ Linz
Durch die zentralisierte Steuerung ergeben sich folgende Vorteile:
1. Zentralisierte Verkehrsführung
- Fahrstraßen, Umleitungen und Zugbewegungen werden zentral koordiniert.
2. Höhere Automatisierung
- ELEKTRA ermöglicht schnellere und zuverlässigere Abläufe, z. B. bei Weichen- oder Signalstellungen.
3. Verbesserte Disposition
- Echtzeitinformationen zu Signalstatus, Gleisbelegung und Weichenlagen ermöglichen moderne Fahrplanoptimierung.
4. Hohe Sicherheit
- Redundanzkonzepte und permanente Überwachung erhöhen die Betriebssicherheit.
5. Zukunftsfähigkeit
- Die BFZ + ELEKTRA-Kombination ist vorbereitet für ETCS, automatisierte Zuglenkung und steigende Verkehrsleistungen.
9. Vereinfachte Stellwerksformen für Nebenstrecken – ZSB
Für weniger komplexe Strecken nutzen die ÖBB Systeme wie ZSB 2000 von Scheidt & Bachmann:

- deutlich kostengünstiger
- modular aufgebaut
- ideal für Zugleitbetrieb
- Fokus auf sichere Grundfunktionen (z. B. Weichen und Signale)
Mit dem ZSB 2000 der Firma Scheidt & Bachmann wird auch die Strecke von Neumarkt-Kallham nach Braunau ausgerüstet
10. ESTW als Grundlage des liberalisierten Bahnmarktes
Mit der Marktöffnung wurden folgende Funktionen immer wichtiger:
- Automatisierte Zuglenkung
- Präzise Zugverfolgung in Echtzeit
- Effektive Disposition in Zentralen
- Hohe Wirtschaftlichkeit und geringerer Wartungsaufwand
- Möglichkeit zur zentralen Steuerung großer Netzbereiche
ESTW wurden damit zum technologischen Fundament eines modernen und liberalisierten Bahnbetriebs.
11. Zusammenfassung
Die Einführung elektronischer Stellwerke ab 1989 markierte einen Wendepunkt in der österreichischen Bahntechnik:
- Die parallele Erprobung von ELEKTRA und SMC 86 schuf eine fundierte Entscheidungsbasis.
- ELEKTRA entwickelte sich zum Standardstellwerk der ÖBB.
- Thales übernahm später die Weiterentwicklung der Technik.
- ZSB-Systeme ergänzen das Netz auf Nebenstrecken.
- Die Einbindung in Betriebsführungszentralen wie Linz ermöglicht zentrale, effiziente und sichere Verkehrssteuerung.
Eisenbahninfrastruktur und ermöglichen moderne Betriebsführung, hohe Kapazität und sichere Zugbewegungen.
Quellen:
- Herstellerangaben Firma Alcatel
- Parlamentarische Anfragebeantwortung: ELEKTRA als „Produkt österreichischer Ingenieurarbeit“.
- OTS-Pressemitteilung zur Inbetriebnahme der Pilotanlage Neumarkt-Kallham (1989).
- Stellwerksdatenbank – Prototyp SMC 86 in Gänserndorf.
- TU Dresden, Überblick ESTW-Technik (Maschek et al.).
- Brancheninformation Bahnindustrie Österreich – Thales Signalling.
- OTS-Pressemitteilung: ÖBB Infrastruktur und Thales – Cloud-Stellwerk (2020).
- Wikipedia / technische Dokumentationen zum Siemens SMC-86
- Herstellerangaben Scheidt & Bachmann – ZSB 2000.
- Allgemeine ESTW-Typologie gemäß Wikipedia-Übersicht.
Zum Artikel Stellwerkstechnik >>> https://gruenspecht.at/beitrag/2025/12/18/verkehr-011-bahnhof-ried-zugsicherungssysteme